
Tag 21 – Holzhütte im Paradies
Das ist das Angenehme am Reisen, dass auch das Gewöhnliche durch Neuheit und Überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt.
Johann Wolfgang von Goethe
Unser Zimmer in der Baracke auf dem Campingplatz ist nur einen Steinwurf vom Fährhafen entfernt. Die SOL steht neben dem Eingang und so ist alles schnell aufgeladen. Glücklicherweise ist alles über Nacht getrocknet. Nur die Handschuhe sind noch feucht, aber das ist auch gut so, denn ein zu schnelles Trocknen schadet dem Leder.
Der heutige Tag wird sehr entspannt werden. Wir werden mehrere Fähren mit einhergehenden Pausen nehmen und auch die insgesamte Strecke wird mit ca. 200 km nicht allzu lange sein. Die Tourplanung ist ein Kompromiss, denn heute fahren wir zwar nicht so weit, dafür werden wir morgen ein längeres Stück Straße unter die Räder bekommen. Die ist geschuldet der Tatsache, dass es ab der jetzigen Unterkunft für die nächsten 100 Kilometer keine Hotels und kaum Campingplätze gibt und wir nicht das Zelt aufstellen wollen, sondern in einer Holzhütte übernachten wollen. Damit fahren wir heute nur 200 km, müssen aber dafür morgen umso weiterfahren.

Der Tag beginnt eher bewölkt und grau aber das Wetter bessert sich im Laufe des Tages und auch die Temperaturen steigen in angenehme Höhen. Wir fahren kurz nach 09:00 Uhr hinüber zum Hafen und gegen 09:15 Uhr legt auch schon die Fähre NESNA – LEVANG ab, wobei wir erst gegen 09:50 Uhr in LEVANG ankommen.
Über breite, gute Straßen mit wenig Verkehr geht es Richtung Süden bis wir an der spektakulären HELGELAND-Brücke ankommen. Dies ist eine Brücke über den LEIRFJORD. Die Brücke überquert nur ca. ein Drittel des Fjordes, macht dann eine 90 Grads Kurve, um dann über eine Reihe von Felsinseln weiterzuführen. Es gibt einen eigenen Parkplatz mit Aussichtspunkt, auf welchem wir stehen bleiben und kurz ein paar Fotos schießen. Bevor Mara wieder aufsteigt, muss Atlan noch die SOL umdrehen, was angesichts des geschotterten Untergrunds und des erheblichen Gewichts der SOL wieder einmal ein Balanceakt ist.
Gegen 11:00 Uhr kommen wir in TJOTTA an, wo wir die nächste Fähre nach FORVIK nehmen wollen. Es gibt bereits eine längere Warteschlange und wir stellen uns zunächst einmal hinten an. Mara geht nach vorne, um zu sehen, wie es weitergeht und kommt mit der Info zurück, dass wir bis ganz an die Spitze der wartenden Kolonne fahren sollen. Die nächste Fähre legt erst in einer dreiviertel Stunde ab, also gönnen wir uns eine kurze Jause. Mit der Zeit gesellen sich auch mehrere andere Biker zu uns und als die Fähre angelegt hat und alle Fahrzeuge rausgefahren sind, schlichtet die Lademeisterin Fahrzeug für Fahrzeug die Fähre voll. Immer dann, wenn sich auf der Fähre eine kleine Lücke zwischen den Fahrzeugen ergibt, winkt sie ein Motorrad hinein. Die Fähre legt dann gegen 11:45 Uhr ab und kommt erst gegen 12:50 Uhr in FORVIK an.
Die nächste Fähre ist die zwischen ANDALSVAGEN und HORN, welche ab 13:00 Uhr nur wenige Minuten unterwegs ist. Hier kommt uns zu ersten Mal so richtig ins Bewusstsein, dass die meisten Fähren, welche wir bis jetzt hier in NORWEGEN genommen haben, elektrisch sind. Fasziniert sehen wir zu, wie der Kapitän die Fähre so „einparkt“, dass er gleichzeitig den Stecker der Fähre in die Ladebuchse am Kai einsteckt. Unseren nächsten Fährhafen in VENNESUND erreichen wir gegen 14:50 Uhr, wo nach wenig warten die Fähre gegen 15:15 Uhr ablegt um nach nur 15 Minuten gegen 15:30 Uhr in HOLM anzulegen.

Wir fahren die ganze Zeit auf einsamen Straßen entweder wunderschön anzusehende Fjorde entlang oder über Hügel und viele Kurven durch dichte Wälder. Die Straße heute ist ein Traum für alle Motorradfahrer. Gegen 15:50 Uhr erreichen wir unser geplantes Ziel. Der Campingplatz liegt direkt neben der Straße und hat einen größeren, geschotterten Vorplatz. Mara steigt ab und macht die Unterkunft klar. Der Besitzer des Campingplatzes bedeutet uns, dass wir ihm folgen sollen, und schwingt sich in sein Auto. Atlan meint noch zu Mara, dass er allein auf der SOL dem Auto folgen werde und sie dann nachholen werde. Das Auto vor ihm fährt eine grobe Schotterstraße mit Kurve einen kleinen Hügel hinauf und Atlan denkt noch, dass mit so einem beladenen Bike so eine Straße zu befahren auch schief gehen könnte. Er fährt dem Auto aber mutig hinterher und schon nach 300 Metern kommt das Auto vor einer einsam stehenden Holzhütte mit wunderschöner Aussicht auf einen Fjord zum Stehen.

Als Atlan absteigt, kommt ihm der Besitzer zu Fuß entgegen und begrüßt ihn mit den Worten „Welcome to paradise“. Die Schönheit der Umgebung und der Lage des Holzhäuschens ist umwerfend und Atlan ist zunächst einmal sprachlos. Mara ist inzwischen zu Fuß angekommen und wir nehmen die Hütte mit 2 Stockbetten, rudimentärer Küche und überdachter Veranda in Beschlag.

Wir benutzen ein Stockbett als Ablagefläche und das andere zum Schlafen, wobei Mara unten und Atlan oben schläft. Die Leiter nach oben erweist sich aber später als ziemlich instabil, sodass Atlan einige Kletterübungen machen muss. Jetzt haben wir Hunger aber kaum noch Lebensmittel bei uns. Eine Nachfrage beim Besitzer ergibt, dass es nur wenige Kilometer entfernt in der nächsten Ortschaft einen Supermarkt gibt, welchen wir jetzt aufsuchen.
Die Straße dorthin wurde von den Ingenieuren wohl auf dem Reißbrett mit einem Lineal geplant, denn sie geht schnurgerade über mehrere Hügel lange geradeaus.

Als wir gegen 17:15 Uhr zurückkommen, will Mara baden gehen. Sie zieht ihren Badeanzug an und geht mit Badeschlapfen runter zum Wasser des Fjordes. Als braver Partner folge Atlan ihr und nimmt dabei das Handtuch mit. Zu seinem Erstaunen taucht Mara tatsächlich vollständig ins Wasser ein und macht ein paar Tempi, kommt aber dann bald wieder heraus und wickelt sich in das Handtuch ein. Sie meint dann, dass es im Wasser wärmer gewesen wäre als heraußen an der Luft.
Als sich Mara dann wieder anzieht, gibt es klarerweise jetzt ein feuchtes Handtuch und einen nassen Badeanzug. Mara fragt dann: „Hast Du eine Wäscheleine?“ – wobei der Unterton so ist, dass dies eine rhetorische Frage ist und sie ohnehin davon ausgeht, dass wir eine Wäscheleine dabeihaben. Dass Motorradreisende eine Wäscheleine mithaben, ist wohl eher unüblich, aber Mara geht einfach aus Gewohnheit davon aus, dass Atlan sowas eingepackt hat, weil er ja immer alles, was wir brauchen, dabeihat. Das ist auch in diesem Fall so, aber die Selbstverständlichkeit mit welcher Mara dies in der Zwischenzeit annimmt bringt Atlan zum Lachen und schmeichelt ihm auch ein wenig, denn er hatte tatsächlich viel Hirnschmalz in die Packordnung investiert.

Danach macht Mara uns das Abendessen. Direkt neben der Hütte wächst ein Himbeerstrauch, der sich ob der Menge seiner reifen Beeren geradezu biegt. Während Mara das Geschirr abwäscht, erntet Atlan eine Handvoll Himbeeren und gibt sie Mara als Dank für ihre Mühen.
Hinter der Hütte befindet sich ein großes Plastikfass mit einer kleinen Wasserpumpe und daneben ein 30 Liter Kübel. Dieses Plastikfass ist die Wasserquelle der Abwasch in der Küche der Hütte. Leider leert sich das Fass und Atlan geht dann mit dem Kübel Wasser holen. Das Wasser ist leicht bräunlich, aber angeblich Trinkwasser. Er traut dem trotz dieser Versicherung nicht. Unsere Hütte liegt mitten in der Natur und ist auf der einen Seite von Bäumen, Sträuchern und dickem Moos umgeben. Als wir uns das näher ansehen, finden vielerlei verschiedene Beeren.





Nur rund 100 Meter entfernt gibt es ein Badehaus, wo wir duschen können. Der Sonnenuntergang ist dann spektakulär, denn die Abendsonne erleuchtet die wenigen Wolken so, als ob das ganz Firmament in Flammen stehen würde.
Heute sind wir gemütliche 211 km gefahren.



