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Tag 20 – Sturmfahrt nach NESNA

Erfahrene Kapitäne fürchten sich nicht vor dem Sturm sondern nutzen seinen Wind.

Atlan

Der Wecker läutet um 07:00 Uhr. Wir nehmen heute Abschied von BODÖ um weiter nach Süden zu reisen. Zuerst geht es einmal ins Erdgeschoß zum Frühstück. Dort müssen wir uns mit der Zimmernummer ausweisen. Schnell ist alles gepackt und Atlan transportiert die ersten Gepäckstücke ins Erdgeschoß. Dort geht er über die Straße zum ab 08:00 Uhr gebührenpflichtigen Parkplatz gegenüber, lädt die Gepäckstücke auf und stellt die SOL ins Halteverbot direkt vor den Eingang des Hotels. Ab jetzt geht’s schnell, denn wir laden alles auf und sind bereits kurz nach 09:00 Uhr unterwegs. Die Sonne lacht und wir haben bestes Reisewetter, um entlang der Küste zu fahren. Bald bewölkt es sich jedoch und wird kühler. Wir fahren einer wunderbaren Küstenstraße entlang und wollen uns einmal die Füße vertreten und bleiben an einem Parkplatz direkt am Meer stehen.

Ohne es beabsichtigt zu haben, machen wir an einer berühmten Stelle halt: der „UREDD REST AREA“. Das besondere daran ist ein spaciges kleines Bauwerk, welches sich als öffentliche Toilette herausstellt und angeblich die schönste Toilette der Welt sein soll. Das mag schon sein, doch sie würde wieder einmal eine Putzaktion vertragen, denn drinnen stinkt es erbärmlich.

Wir haben heute mehrere Fährüberfahrten zu absolvieren. Die erste davon geht von ESOYA nach AGSKARDET FERJEKAI. Dort müssen wir erstmal auf die Fähre warten. Als wir ankommen ist der Wartebereich beinahe leer. Während wir etwas aus unseren Vorräten trinken und warten, reiht sich hinter uns bald eine ganze Reihe von Fahrzeugen auf. Darunter ein deutscher Reisebus mit Pensionisten auf einer NORWEGEN-Tour, die sich jetzt auch die Füße vertreten. Neugierig kommen ein paar Männer auf die SOL und Atlan zu und bestaunen das über und überbepackte Motorrad. Atlan ist schon etwas stolz als er ihnen technische Fragen beantworten darf und diese Leute erstaunt sind, dass wir aus ÖSTERREICH kommen, am NORDKAP und auf den LOFOTEN waren und jetzt wieder zurück nach WIEN fahren. Eine alte Frau gesellt sich dazu und meint sie wäre auch in ihrer Jugend mit dem Motorrad gefahren. Das Gespräch entwickelt sich in eine für diese Dame unerwartete Richtung, als Atlan sie fragt, ob sie da nicht einmal draufsitzen möchte. Als sie das bejaht, meine er nur: „Wenn, dann aber ganz“, zieht ihr seine Motorradjacke an und setzt ihr seinen Helm auf. So sitzt sie auf der SOL und Atlan fotografiert sie mit ihrem Handy. Auch viele andere haben sich mittlerweile eingefunden und sind ebenfalls guter Laune. Als sie wieder absteigt, meint die alte Dame überglücklich: „80 Jahre habe ich alt werden müssen, um noch einmal in meinem Leben auf einem Motorrad sitzen zu können“.

Wie immer dürfen wir als erstes an Bord. Leider ist die Fähre etwas verspätet, als sie in AGSKARDET FERJEKAI anlegt. Unsere nächste Fähre geht von JETVIK nach KILBOGHAVEN. Dazwischen liegen ca. 30 Kilometer und wir müssen diese Fähre unbedingt erreichen, da sonst unser ganzer Tagesplan schwer durcheinanderkäme, denn wir würden auch die nächste Fähre verpassen. Die Straßen sind nass und Mara zweifelt schon heftig, ob wir das schaffen können. Wir sind offenbar nicht die einzigen, welches es eilig haben, denn vor uns fahren zwei serbische Motorräder von der Fähre und geben sofort Gas. Eines davon ist ein Rennmotorrad. „Also gut“ denke Atlan sich: „das muss doch zu schaffen sein“ und schalte die SOL in den Dynamic-Modus, der die SOL in ein Rennmotorrad verwandelt. Er gibt Gas und die SOL macht geradezu einen Sprung vorwärts. Immer dann, wenn Atlan weit genug nach vorne sehen kann, beschleunige er auf z.T. über 115 km/h um an der nächsten Kurve auf 30 km/h herunter zu bremsen, da er ja nicht weiß, wie es weitergeht. Bei so einem Husarenritt kann Atlan klarerweise nicht mehr jedem Schlagloch ausweichen, womit wir einmal sogar mit dem Bodenblech aufsetzen. Er lässt in der Ferne die Serben nicht aus den Augen und denkt sich: „Wenn irgendwas passiert, passiert es denen zuerst und ich habe noch genügend Zeit zu reagieren“. Wir fliegen geradezu über die Distanz und sind sogar etwas zu früh in JETVIK. Anfangs sind uns auch ein paar deutsche Biker gefolgt, aber die sind dann abgebogen. U.U. wurden wir einfach zu schnell für sie. Als Atlan zum zweiten serbischen Biker hingeht und ihm gratuliert „You are really good speeding up” meint er etwas verschmitzt mit einem Deut zu seinem grinsenden Kameraden auf dem Rennmotorrad: „I didn’t have an alternative – he has the navigation device“. Die See ist heute rauer als sonst. Zur Sicherheit sichert Atlan die SOL mit Spanngurten damit sie nicht umfallen kann. Die Fähre ist relativ voll und die SOL steht nahe der Bordwand, sodass er kaum Platz hat, um sich zu bewegen. Damit ist es unvermeidlich, dass er mit Jacke und Hose an schmutzigen Gegenständen ankommt. Als Atlan mit den Sicherungsarbeiten fertig ist, sind Motorradhose und Jacke voller öliger und fettiger Flecken. Einer der Serben meint deshalb scherzhaft: „Now it looks like an Enduro-Jacket“. Später dann, als wir zuhause alle unsere Klamotten waschen, geht der Ölfleck am linken Oberschenkel nicht vollständig heraus und wird damit wohl auf ewig eine Erinnerung an eine der schönsten Motorradtouren seines Lebens sein.

Auf der Fährfahrt von JETVIK nach KILBOGHAVEN ruft uns der Rennmotorradfahrer etwas zu und deutet an Land. Dort können wir eine kleine Kopie der Stahlkugel vom NORDKAP sehen. Etwas traurig muss Atlan zur Kenntnis nehmen, dass wir gerade den nördlichen Polarkreis Richtung Süden überqueren. Waren wir nicht erst gestern in ROVANIEMI? Wahnsinn wie schnell die Zeit vergangen ist.

Ab hier gehen wir es wieder ruhiger an, was Atlan viel lieber ist. Diese schnellen Fahrten sind der pure Stress für Atlan, denn schließlich hat er Mara am Sozius und er könnte es sich nicht verzeihen, wenn ihr aufgrund eines Fahrfehlers etwas zustößt.

Außerdem: Falls die SOL nur noch Schrott ist, wars das dann mit dem Traum von der Weltreise. Leider meint es Petrus heute nicht gut mit uns. Auf den letzten 30 Kilometern entwickelt sich der Nieselregen in einen schweren, orkanartigen Sturm mit so heftigem Niederschlag, dass Atlan vor lauter Wasser in der Luft kaum noch 10 Meter weit sehen kann. Wir fahren über irgendeine kurvige Bergstraße ohne Ausweichen und die Böen sind so heftig, dass selbst die 600 Kg der SOL nicht ausreichen, um sie zu stabilisieren. Atlan hat heftig zu kämpfen und erinnert sich wieder an die denkwürdige Fahrt nach BILBAO. Er diskutiert via Helmfunk darüber kurz mit Mara und die meint, dass wir nur noch wenig von unserem Zielort entfernt wären. Es würde sich auszahlen weiterzukämpfen, denn wir wären in wenigen Minuten ohnehin am Ziel. Tatsächlich: Kurz bevor wir in NESNA ankommen, es ist mittlerweile ca. 17:00 Uhr, endet der Regen und die Straßen trocknen auf. Später, als Atlan einer Rezeptionistin davon erzähle, ist diese ganz erstaunt, dass offensichtlich nur wenige Kilometer entfernt beinahe die Welt untergegangen ist, denn hier am Campingplatz war es immer ruhig.

Wir finden sofort den Campingplatz, wo uns Mara online ein Zimmer in einer Hütte gemietet hat. Wir erwarten uns natürlich irgendeine Art von Rezeption oder Empfang, der uns einweist und sagt, wo unsere Bleibe ist. Das ist aber schwierig zu finden. Mara arbeitet sich durch das Anleitungsplakat vor dem Eingang zum Restaurant und installiert die CampingplatzApp. Zielstrebig führt sie uns zu einem Gebäude mit mehreren Zimmern. Eines davon, das Hinterste ist unseres. Die letzte Hürde, welche noch zu nehmen ist, ist ins Zimmer reinzukommen, denn die Türe ist mit einem Zahlenfeld zur Codeeingabe gesichert. Wie lautet der Code? Mara, technisch verspielt wie immer findet in der Campingplatzapp einen Button, den man am Handydisplay betätigen muss und die Türe vor einem geht auf. Mara grinst übers ganze Gesicht: „Das ist geil“ – und probiert es gleich nochmals. Atlan selbst ist heute zu müde, um sich solchen technischen Spielereien hinzugeben und scheitert bei der Installation der App. Er ist damit aber nicht allein. Ein gleichzeitig mit uns angekommenes deutschen Paar hat die gleichen Probleme. Er löst das Problem ganz pragmatisch, indem er ebenfalls ins Restaurant geht, dort eine Art Rezeption findet und behauptet, dass sein Handy keinen Strom mehr hat und man ihm deshalb bitte den Code aufschreiben soll. Als er zurückkommt, fragt ihn das deutsche Ehepaar etwas verdrießlich, wie er es geschafft hätte an den Code zu kommen und er gibt ihnen den nötigen Tipp. Atlan parkt die SOL nur wenige Meter vom Eingang entfernt unter einem Vordach und wir laden alles Gepäck ab. Klarerweise müssen wir auch heute wieder alles zuerst ins Badezimmer schleppen und dort unter der Dusche waschen bevor wir die Kisten und Packsäcke irgendwo hinstellen können, ohne etwas schmutzig zu machen. Zur Feier des Tages lädt uns dann Mara ins Restaurant auf ein Essen ein. Zuvor hat sie unsere ganze Wäsche gewaschen, während Atlan sich schlafend erholt hat vom Teufelsritt.

Strand von NESNA am Abend
Strand von NESNA am nächsten Morgen
Hafen von NESNA

unsere Tagestour

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