
Tag 7 – eine meditative Fahrt durch FINNLANDs Wälder
Zum Meditieren muss man nicht stillsitzen. Motorradfahren geht auch.
unbekannte Quelle
Atlan schreibt
Der Wecker läutet gegen 07:30 Uhr. Wir sind gut ausgeschlafen und gönnen uns erstmal einen Kaffee im Bordrestaurant. Danach packen wir langsam unsere Sachen und schauen uns die Landschaft an, welche an uns vorbeizieht. Pünktlich um 11:00 Uhr (Osteuropäische Zeit – also + 1 Stunde) kommen wir in ROVANIEMI an und können bald unser Bike abladen. Die Bahnmitarbeiter waren so freundlich und hatten schon die Spanngurte entfernt.
Während ich mich um das Abladen der SOL kümmere, unterhält sich Mara mit einer älteren Frau, welche offenbar hier in ROVANIEMI wohnt und ebenfalls mit dem Zug hierherfuhr. Die meint ernsthaft, dass wenn das mit der Klimaerwärmung so weiter geht, verkauft sie ihr Haus in ROVANIEMI und zieht ans Nordmeer.
Nach dem ordentlichen Verstauen all unserer Sachen gemäß Packordnung fahren wir nach ROVANIEMI hinein. Dies soll ja der Wohnort des Weihnachtsmanns sein. Von all diesen Touristenfallen gibt es kaum was zu sehen, weshalb wir zunächst in einem Kaffeehaus einen späten Vormittagskaffe konsumieren und dann in einem Supermarkt nur 2 Mineralwasserflaschen kaufen. Das ist insofern doch bemerkenswert, da es auf Glasflaschen ein Pfand von 10 Cent gibt. Auf Plastikflaschen wie unsere Mineralwasserflaschen gibt es aber ein Pfand von 40 Cent was dazu führt, dass das Pfand mehr wert ist als der Inhalt. Das Einzige, was mir sicher länger im Gedächtnis haften bleiben wird ist in einem Souveniershop ein T-Shirt mit der Aufschrift „Air Force Finland“ – und eine große Mücke.


Dann machen wir uns auf den Weg nach INARI. Das sind ca. 330 km. Kurz außerhalb der Stadt verläuft der nördliche Polarkreis, der dort natürlich groß gefeiert wird. Es gibt eine Menge Geschäft mit Weihnachtsdekoration, da ja hier irgendwo der Weihnachtsmann wohnen soll. Gesehen haben wir in aber nicht – wahrscheinlich ist er auf Urlaub. Dafür werden wir von unseren Tischnachbarn aus der Fähre TRAVEMÜNDE – HELSINKI begrüßt. Die haben die letzten 3 Tage verbracht auf der Straße hierher zu kommen. Gegen 13:00 Uhr machen wir uns endlich auf den Weg. Was jetzt kommt ist erstaunlich: Wir sind praktisch allein auf der Straße, welche oft über viele Kilometer geradeaus führt. Kurven, welche bestenfalls ein leichter Knick der Straße sind, werden vorher angekündigt. Die Bauernhöfe werden langsam weniger und die Felder kleiner. Noch immer hat jeder Bauernhof seine eigene Busstation. Die wird auch nötig sein, denn wie kämen denn sonst die Kinder zur Schule? Mit unseren üblichen 82 km/h und dem Tempomaten tuckern wir langsam durch die Wälder FINNLANDs.

Die Fahrt hat etwas Meditatives an sich. Geistig hatten wir in den letzten Tagen ja praktisch nichts zu tun und das Steuern eines Motorrads ist schon so tief automatisiert, dass eine bewusste Einflussnahme nicht mehr nötig ist. Aufgrund der Monotonie passiert uns erstmalig ein bei Overlandern bekanntes Phänomen: Das „white line fever“ – auch Highway-Hypnose genannt. Das basiert prinzipiell auf einem alltäglichen psychologischen Effekt, bei dem das Unterbewusstsein unnötige Details ausfiltert, damit nur das Wichtige ins Bewusstsein kommt. Wenn man allerdings lange genug durch eine monotone Landschaft fährt, filtert mit der Zeit das Unterbewusstsein praktisch die gesamte Wahrnehmung heraus und ohne es zu wollen fährt man praktisch nur noch als vollbiologischer Roboter durch die Gegend.
Das kann durchaus gefährlich sein, wenn plötzlich unerwartete Schwierigkeiten auftreten, die man dadurch gar nicht bewusst wahrnehmen kann. Hat man dann einen Unfall versteht man nicht was passiert ist, da einem vollständig die Erinnerung fehlt. Dieser Effekt ist nur schwierig zu vermeiden durch z.B. häufige Pausen, welche aber viel Zeit kosten. In unserem Fall hat das allerdings einen überaus positiven Effekt: Wir landen im „Hier und jetzt“ und sind, als wir in INARI ankommen, innerlich wie ein buddhistischer Mönch in vollständiger in Balance.
Hier waren die Baumeister aber kompromisslos. Die Straße geht viel gerade aus wie mit dem Laser gezogen, und zwar auch dann, wenn eine Steigung von 9% hinauf und 10% wieder hinunter geht. Auch unser Navi scheint etwas gelangweilt: Nach dem Überqueren des Polarkreises zeigt es an: „Nach dem nächsten Kreisverkehr in 122 km geradeaus“. Als wir dort ankommen, zeigt es an: „Nach dem nächsten Kreisverkehr in 158 km geradeaus“. Längst haben wir vergessen welcher Wochentag ist.
Zweimal unterqueren wir eine Gewitterwolke mit heftigem Regen. Wir sind aber gut mit Regenzeug ausgerüstet und bleiben trocken. Einmal wird über mehrere Kilometer die Straße sehr, sehr breit und eben. Hier wurde offenbar von der finnischen Armee ein Behelfsflughafen errichtet. Der ist so groß, dass da wahrscheinlich auch ein Airbus A380 landen und starten könnte. Erst kurz vor INARI wird die Straße wirklich kurvig.

Das Hotel liegt direkt neben der Straße und neben dem gleichnamigen See. Wir sind in ROVANIEMI mit 22 Grad weggefahren, am Polarkreis hatte es 27 Grad und abends in INARI hatte es um 21:00 Uhr noch immer 22 Grad. Klarerweise: Das Zimmer liegt im 3. Stock und es gibt keinen Aufzug. In diesen Breitengraden kann es im Winter leicht -30 Grad Celsius haben, weshalb die Häuser gut isoliert sind, um die Wärme drinnen zu halten. Dies führt aber dazu, dass es Sommer in den Zimmern in der Nacht bis zu 30 Grad im Zimmer hat. Wegen der Mücken kann man das Fenster nicht aufmachen. Es gibt nur am rechten Rand des Fensters einen ca. 15 ca. breiten Bereich, welchen man öffnen kann, aber außen ist ein sehr dichtes Mückengitter angebracht, wodurch es praktisch keinen Luftzug gibt. Wir machen noch einen kurzen Spaziergang runter zum See und müssen uns ab jetzt daran gewöhnen, dass wir uns nicht mehr am Tageslicht orientieren können, da wir ja nördlich des Polarkreises sind und geht im Sommer die Sonne niemals unter.
Übrigens so nebenbei: Beinahe alle Gäste im Hotel sind Biker.
Mara schreibt
Wunderbar ausgeschlafen gönnen wir uns ein Frühstück im Speisewagen. Um 11:03 Uhr Ortszeit kommen wir in ROVANIEMI an. Umpacken, unser Reisemaskottchen auf dem Topcase befestigen, kurze Stadtbesichtigung, noch ein Kaffee, Getränkevorräte auffüllen und dann geht die Reise mit der SOL so richtig los.
Kaum haben wir die Stadt verlassen, wartet ein Touristenspektakel auf uns: Arctic Circle/Polarkreis mit Weihnachtsmanndorf und Elfenrestaurant und allerlei Shops.
Unvermittelt fährt ein Motorrad zielstrebig auf den schmalen Parkplatz neben uns: Unsere Tischnachbarn von der Fähre nach HELSINKI. Wir begrüßen einander freudig. Die beiden haben die Tour-Organisation bei einem Reiseveranstalter gekauft. Alle Routen sind fein säuberlich beschrieben und alle Hotels bereits im Voraus gebucht. Sie sind mit ihrer Wahl sehr zufrieden und werden am 20. am NORDKAP sein. Wir sind voraussichtlich einen Tag vor ihnen da, doch wer weiß, wo wir einander noch über den Weg laufen werden.
Nachdem wir die klassischen Fotos mit der symbolisierten Polarkreis-Linie gemacht haben, fahren wir durch endlose Wälder weiter nach Norden. Seen mit tiefblauem Wasser sorgen für atemberaubende Anblicke und freudige Begeisterung. Die Fahrt durch die Seenlandschaft ist fantastisch! 😍


Juhuuu! Endlich ist sie da: Unsere erste Begegnung mit einem Rentier. Es steht auf der Straße und schaut dabei zu, wie wir langsam vorbeifahren. Ganz aufgeregt warnt Atlan die entgegenkommenden Fahrzeuge. Bald folgen drei weitere Rentiere, davon ein Junges. Voll kindlicher Freude zähle ich die heutigen Rentier-Sichtungen.
Abends erreichen wir unsere Unterkunft direkt am Inarisee und lassen am Steg sitzend die Seele baumeln. 33 Rentiere haben wir gesehen, welch ein Abenteuer! 😍


ST. JOHANN I. TIROL ist ein schöner Ort und offenbar sehr beliebt bei den Finnen




