
Tag 6 – Besichtigung von TURKU, Ankunft eines Großseglers und Weiterfahrt mit einem Zug
Hávskkes guoibmi oanida mátkki. (Ein netter Kamerad verkürzt die Reise.)
Samische Lebensweisheit
Atlan schreibt
Das Wetter heute droht schlecht zu sein. Tatsächlich regnet es später so heftig, dass es zu kleinräumigen Überschwemmungen in TURKU kommt.

In TURKU gibt es ein sehenswertes Freilichtmuseum. Im 16. Jahrhundert ist beinahe ganz TURKU durch ein Großfeuer abgebrannt. Nur ein Stadtteil blieb verschont. Dieser war beinahe unverändert bis Beginn des 20. Jahrhunderts in Gebrauch. Es ist schon erstaunlich wie niedrig diese Häuser waren und wie wenig Komfort sie boten. Meist gab es eine Art Innenhof und die Gebäude ringsum waren größtenteils mit den Berufen belegt. Es gab Schneider, Zimmermann, Tabakwaren-hersteller, Möbeltischler, eine Poststation, einen Musik-instrumentenbauer, Polsterer, Schuster, Buchdrucker, Fotograf, Taverne, Weber, Kupferschmied, Zinnschmied usw.. Beinahe alle Werkzeuge sind noch im Original erhalten. In vielen dieser Werkstätten gibt es junge Leute, welche diese alten Fertigkeiten demonstrierten. Uns wird klar wie enorm der technische Fortschritt in den letzten 150 Jahren war.

Draußen schüttet es in Strömen und wir gönnen uns einen Vormittagskaffee. Der Regenradar sagt ein Regenende per 15:15 Uhr voraus, und tatsächlich: Petrus dreht pünktlich den Wasserhahn zu.


Danach geht es in den Hafen. Wir konnten gestern beim Vorbeifahren ein paar wirklich große Segelschiffe sehen. Es gibt auch eine Burg aber den Eintritt wollen wir uns nicht leisten. Wie wir sehen konnten, findet das „Tall ships races TURKU 2024“ statt. Angekommen im Hafen können wir gerade den Anlegeprozess der „GUAYAS“ beobachten. Die GUAYAS ist ein 3-mastiger Schoner und das Schulschiff der ecuadorianischen Marine. Natürlich machen die ecuadorianischen Seeleute daraus eine gelungene Show: 3 Salutschüsse wobei der Pulverdampf die drei Farben der Nationalflagge haben: Gelb – Blau – Rot. An Bord spielt eine laute Band beste, schmissige Landesmusik und auf den Rahen stehen die Kadetten in Landesfarben gekleidet bis in höchste Höhen stramm. Auch die anderen Schiffe begrüßen die GUAYAS mit lautem Schiffshorn. Die Kadetten sind gut gedrillt, denn unter der Kommandopfeife der Bootsmaate werden die Taue ausgeworfen und festgezurrt. Sie agieren wie eine gut geölte Maschine. Es ist wirklich ein sehenswertes Schauspiel. Oben vor der Steuerkabine steht der Kapitän und beobachtet aufmerksam. Was wirklich erstaunlich ist: Trotz der extrem machistischen Kultur in Ecuador gibt es auch einige weibliche Kadetten, welche offensichtlich Spaß an der Aufgabe haben und auch kräftig zupacken. Es wird kein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht.
Wir gehen weiter, betrachten den nächsten Schoner und beenden unseren Rundgang vor einigen ausgemusterten und als Ausstellungsstücke verwendeten Kriegsschiffen der finnischen Marine. Danach ist es Zeit für den Bahnhof. Vor dem Bahnhof packen wir wieder um, um alles mit dabei zu haben was man für eine Übernachtung in einem Schlafwagen braucht, und dann fahre ich zum Autoverladeterminal. Das Motorrad kommt als erstes dran. Die Verladung verläuft geradezu bequem, denn die lichte Höhe des Waggons ist 184 cm. Da ich die SOL festzurren muss bin ich aber der letzte, der den Waggon verlässt. Das liegt auch daran, dass das System der Zurrgurte für mich neu ist und ich erstmal dahinterkommen muss, wie das funktioniert. Ein Bahnmitarbeiter erbarmt sich meiner und hilft mir. Wahrscheinlich will er einfach nur fertig werden. Danach gehts zu Fuß ca. 1 km zurück zum Bahnhofsgebäude, wo wir auf den Schlafwagen warten. Wiederum bemerkenswert: Mara erzählt verärgert Folgendes: Sie wollte aufs WC gehen, aber die Türe ist verschlossen und am Bahnhof gibt es kein Bahnpersonal. Auf der WC-Türe ist ein QR-Code, welchen man einscannen muss, der eine Telefonnummer darstellt, welche man anrufen muss, um 1,25 EUR zu zahlen. Es hebt aber niemand ab, weshalb sie in ein nahes Restaurant gehen muss, um dort für den WC-Besuch 2 EUR zu zahlen.
Die Waggons mit den Schlafabteilen sind 2stöckig. Die oberen Abteile haben eine eigene Toilette und Dusche – das haben wir uns gegönnt. Der Waggon ist supermodern. Noch nie habe ich ein so funktionell eingerichtetes Schlafwagenabteil gesehen. Hut ab vor den finnischen Staatsbahnen. Die Betten sind superkomfortabel und alles zusammen kostet nur ca. 400 EUR. Die Fahrt INNSBRUCK – HAMBURG kostete ca. 1100 EUR (Hin- und Rückfahrt), war nur ein Liegewagen und war hauptsächlich „rustikal“. Unser Gepäck ist schnell verstaut und wir genießen eine wunderbare Dusche in einem vibrationslosen Eisenbahnwaggon – das ist echt luxuriös.
Danach gönnen wir uns endlich den Wunsch: Aus welchen Gründen auch immer: Es funktioniert im bestens sortierten Bordrestaurant sich auch nach 21:00 Uhr eine kleine Flasche Wein zu kaufen und als Gutenachttrunk zu genießen. Wir sind mittlerweile so weit im Norden, dass die Sonne erst gegen 23:00 untergeht, weshalb wir die Jalousie runterziehen und bald einschlafen. Ich habe definitiv noch nie so gut in einem Schlafwagenabteil geschlafen wie hier.
Mara schreibt
Wunderbar ausgeschlafen starten wir in den Tag. Leichter Nieselregen ist angekündigt, doch als wir mit unserer Frühstück & Packen-Routine fertig sind, ist es trocken. SOL ist noch nass vom nächtlichen Regen, die Straße trocknet bereits auf.

Feines Besichtigungswetter für das Freilichtmuseum LUOSTARINMÄKI (Klosterbacken). Der einzige Stadtteil, der bei dem verheerenden Brand 1827 nicht vernichtet wurde. Anhand der Geschichten von realen Bewohner:innen entsteht ein großartiger Einblick in das Leben und Handwerk der Zeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Eine beeindruckende Reise in die Vergangenheit.
Die anschließende Kaffeepause wird etwas länger, denn der Himmel hat seine Schleusen geöffnet. Burg, Markthalle und Dom stehen noch auf dem Programm. Und dann zieht „The tall ships races – Turku 2024“ uns magisch an.

Ein großes Segelschiff kündigt sich an. Die Anlegestelle ist abgesperrt, ein Schleppkahn zieht einen Dreimaster in den Hafen. Auf allen Rahen und auf dem Großbaum stehen Matrosen in den Farben rot, blau und gelb. Eine Musikkapelle spielt schwungvolle südamerikanische Rhythmen. Drei Kanonenschüsse erschallen und bilden Rauchwölkchen in den Farben gelb, blau und rot.
Ich denke unwillkürlich an das festliche Spektakel, das ich in HAMBURG beim Auslaufen eines Schulschiffes aus Südamerika erlebt hatte und an das ich mich gern erinnere. Und heute erlebe ich dasselbe Schiff nun beim Anlegemanöver in TURKU – welch schöne Fügung 💖

Nach einem Imbiss ist es Zeit zum Bahnhof zu fahren und unsere Sachen so umzupacken, dass die SOL verladen werden kann. Inzwischen haben wir uns Packroutinen angewöhnt, wo mit wenig Aufwand alles Nötige für eine Übernachtung im Zug oder auf dem Schiff verstaut ist, sodass es bequem getragen werden kann.
Die Verladestelle ist am anderen Ende des Bahnhofs, der sich aktuell im Vollumbau befindet. Atlan verlädt die SOL und kommt dann zu Fuß über die Baustelle zum Bahnhof. Unsere Kombination Schlafwagen & Fahrzeugwaggon wird dem Zug nach TAMPERE vorgespannt, ab TAMPERE fährt unser Zugteil dann alleine weiter. Das Schlafwagenabteil ist luxuriös. Mit fertig bezogenem Bett, frischen Handtüchern, Seife, Dusche, viel Abstellfläche, sehr funktionell und bequem. Wir fahren in die Abenddämmerung hinein nach Norden.
Zur Feier der Tages gönnen wir uns ein Glas Rotwein 🍷🍷 im Speisewagen. Morgen werden wir nördlich des Polarkreises sein. Im Land der nächtlichen Sonne. 🌅




