2022,  2022-Tourentagebuch Frankreich-Tour,  Motorrad-Touren,  REZZO bis BRIANCON

Tag 24 – Balkonstraßen bei BOURG D OISSONS

Schilderung Atlan

Die ASSIETTA von gestern steckt mir noch in den Knochen. Trotz ausreichendem Schlaf spüre ich immer noch die Anstrengung von gestern. Wir wollen es heute etwas ruhiger angehen. Auf meinen Vorschlag hin fahren wir zeitig in der Früh weg und entkommen so dem sonntäglichen Vormittagsverkehrsstau. Gemächlich tuckern wir den COL LAUTARET auf der einen Seite hoch und der anderen wieder runter und können dabei Blicke auf 2 spektakuläre Wasserfälle erhaschen. Der LAC DU CHAMBON liegt so friedlich in der Morgensonne, dass wir vor der Talsperre eine Pause machen. Wir kommen ins Gespräch mit ein paar deutschen Bikern und können sehen, wie der Stausee durch einen Zufluss gefüllt wird. Der spritzt hoch in die Luft wie ein überdimensionaler Gartenschlauch.

Bei der Weiterfahrt kündige ich Mara eine Stelle an, bei der man für einen kurzen Augenblick das ganze enge Tal überblicken kann, was dann so aussieht wie ein Hintergrundbild in einem Fantasyfilm. Leider bekommen wir das nicht zu sehen, weil wir vorher in LE FRENEY D`OISANS auf eine winzige, unscheinbare Seitenstraße abbiegen. Ich war dort schon einmal in der Vergangenheit und fahre im Moment nur meinem Orientierungssinn entlang. Je weiter wir der Straße folgen und sicherer bin ich mir, dass wir hier richtig sind. Mara muss laut lachen, als ich durchs Mikrophon verlaute, dass ich mich z.B. an eine Sitzbank-Tisch Kombination am Straßenrand erinnere. Sie wundert sich ein wenig über mein Gedächtnis, aber wenn ich etwas sehe weiß ich ob ich das bereits schon einmal gesehen habe oder eben nicht. Von LE FRENEY geht eine Straße weg die im späteren Verlauf auch „RUE DE LA CONFESSION“ heißt. Es gibt zweierlei Erklärungen für diesen Namen. Die erste Erklärung ist, dass als es in FRANKREICH zu den Glaubensauseinandersetzungen rund um die Hugenotten kam, wo die Anhänger dieses christlichen Glaubens via dieser Strecke flüchten mussten. Die andere Erklärung ist spektakulärer und gefällt mir besser: Die Straße ist direkt aus der Felswand herausgeschlagen und direkt neben dem Straßenrand geht es ohne Sicherungen senkrecht bis zu 600 Meter in die Tiefe. Jeder der diese Straße nehmen musste hätte vorher in der Kirche seine Sünden bekannt, um Absolution zu bekommen. Es hätte ja sein können, dass er dazu keine Gelegenheit mehr bekommt. 😊

Dierser schmale weisse Strich ist eine Strasse in der Felswand auf der gegenüberliegenden Seite des Tales – da werden wir auch noch hinfahren

Die D211A ist einer der berühmten Balkonstraßen FRANKREICHS und man braucht schon etwas Nerven, um sie zu befahren. Sie ist aber asphaltiert und so breit, dass ein Motorrad und ein Auto problemlos einander passieren können. Außerdem bin ich ganz bewusst in Le FRENEY auf diese Straße aufgefahren, denn ich fahre dann immer bergseitig und wenn jemand ausweichen muss, hat er das Problem – nicht ich. Mara ist einerseits ein wenig geschockt von dieser extrem exponierten Straße, kann ihre Angst aber bezwingen und meint mehrmals. „Ist das cooool“. Ich fahre nur langsam, denn der spektakulärste Teil der Straße ist nur wenige Kilometer lang und führt auch durch ein paar unbeleuchtete Felstunnel. Wir bleiben an einer der spektakulärsten Stellen stehen und machen jede Menge Fotos obwohl es schwer ist, diese Ausgesetztheit in einem Bild einzufangen.

Die Straße endet an der D211, der Straße hinauf zur ALPE D HUEZ, einem berühmten Wintersportort, der auch schon öfters Ziel einer Bergwertung der Tour de France war – der Tour der Qualen. Angekommen an der Kreuzung muss ich mich erstmal via unseres Navis orientieren und dann fahren wir ein gutes Stück diese Straße hinauf bis wir in HUEZ auf die D211B und weiter auf die D448 abbiegen. In VILLARD-RECULAS biegt die Straße weit um eine Geländenase um wodurch eine Art Rücken entsteht. Dort gibt es einen Parkplatz wo wir absteigen und an einem Aussichtspunkt einen Ausblick über gleich mehrere Täler wie aus einem Flugzeug haben.

Ich bin mir sicher, dass es hier in der Umgebung irgendwo eine offene Restauration für einen Kaffee gibt. Die finden wir nur wenige 100 Meter weiter. Während Mara sich die Füße vertritt und dorthin zu Fuß geht, bringe ich die SOL dorthin.

Ich habe keinen Hunger und trinke nur einen Kaffee während Mara sich eine Mittagsmahlzeit gönnt. Als wir weiterfahren, kommen wir mittels 11 Spitzkehren den Berg herunter und fahren am Talboden ein paar Kilometer zurück nach BOURG D´OISSON. Dort geht eine weitere Balkonstraße weg: Die Straße nach VILLARD NOTRE DAME. Die beiden Balkonstraßen kann man von der jeweils gegenüberliegenden Talseite von Weiten erkennen.

der schmale weisse Strich in der Felswand gegenüber ist die RUE DE La CONFESSION – da waren wir gerade

Auch hier gibt es praktisch keine relevanten Absperrungen zur Leere des Abgrundes hin. Das niedrige Mäuerchen am Straßenrand ist wohl eher eine optische Trennung. Genauso spektakulär wie die D211A ist auch die D219 und wieder kommt dieses begeisterte „Ist das coool“ über die Gegensprechanlage. Ich freue mich dann immer sehr, weil ich ja Mara mit einem Wow-Erlebnis nach dem anderen verwöhnen will. Hier auf dieser Straße wurde auch jenes Bild aufgenommen, weswegen sie sich am Anfang unserer Beziehung überhaupt mit mir in Verbindung gesetzt hat. Ich kann ihr dann den Straßenabschnitt zeigen, wo das Bild tatsächlich gemacht wurde.

Kurz vor VILLARD NOTRE DAME sitzt ein alter Mann auf einer Bank vor seinem Haus und sieht uns zu wie wir vorbeifahren. Der Straßenverkehr ist offensichtlich sein heutiges Kino. Oben drehen wir um und fahren vorsichtig und bedächtig wieder runter. Unfassbar ist, dass diese Ortschafft auch im Winter bewohnt ist, wo die Gegend viel Schneefall erlebt. Hier fährt dann jeden Morgen ein Schneepflug entlang und räumt die Straße damit die Kinder runter nach BOURG D´OISSONS in die Schule gebracht werden können. Also ich möchte da nicht im Auto sitzen.

Wir fahren zurück Richtung LAUTARET, müssen aber unseren Hinterteilen etwas Pause gönnen und bleiben an einer Ausweiche stehen. Auch hier gelingen mir einige gute Schnappschüsse. Es dauert nicht lange bis wir wieder am LAUTARET sind, wo wir ein letztes Mal Pause machen und in einem Souvenirladen ein kleines Stück Pyrit für Mara Schatzkiste kaufen. Mara sucht nach ihrer Geldbörse, aber ich bin schneller und zahle die paar EURO. Mara gibt mir dafür einen Kuss, was der Verkäufer an der Kassa freudig auf Französisch kommentiert.

Zurück in BRIANCON startet wieder pünktlich gegen 17:00 Uhr das tägliche Gewitter und packen wir wieder als Vorbereitung für den Abreise am nächsten Tag. Als der Regen aufhört, gehen wir wieder in der Burgstadt spazieren wobei ich Mara die PONT D´ASFELD zeige, eine weitere Ingenieurmeisterleistung des Barock. Als die Sonne untergeht, färbt sie die letzten Wolken so rot als ob diese brennen würden. Der Himmel ist wortwörtlich rosarot.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert