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Tag 19 – FAUNIERA, SAMPEYRE und AGNEL

Schilderung Atlan

Routiniert erledigen wir unsere morgendlichen Tätigkeiten inkl. Frühstück in einer leeren Bar. Der Besitzer ist sehr freundlich und erfüllt uns alle Wünsche, soweit es möglich ist. Er hat eben eine Bar und vermietet die Zimmer nur als Nebengeschäft.

Ich laufe noch schnell vor zum Alimentari, welchen wir gestern entdeckt haben, und kaufe Mineralwasser und Fruchtsaft, den wir sofort in unsere Flaschen mixen. Das Aufladen allen Gepäcks geht schnell, da die SOL ja direkt vor der Haustüre steht und Mara tatkräftig mithilft.

12 Km hinter VINADIO befindet sich das Dorf DEMONTE, wo die Straße auf den COLLE FAUNIERA beginnt. Die ist nirgends angeschrieben, aber ich war schon 2 x hier und vertraue meinem Orientierungssinn. Tatsächlich finden wir die Straße auf Anhieb. Ich bin mir zwar am Anfang nicht gänzlich sicher aber je weiter wir nach oben kommen, umso sicherer werde ich: Das ist die Richtige Straße. Anfangs führt sie noch durch zahllose „Localitas“, aber dann steigt sie an und kommt in den Bereich der Almen, wo selbst Latschen nicht mehr wachsen. Es ist eine der schönsten Passstraßen des gesamten Alpenbogens und Mara hat ein WOW-Erlebnis nach dem anderen. Ich andererseits habe damit zu tun die SOL, unseren „Flugzeugträger“, auf dieser schmalen und kurvigen Straße den Berg hochzufahren. Das erfordert viel Konzentration, womit ich von der Umgebung kaum was mitbekomme. Mara hat jedenfalls die volle Freude und Aussicht.

Sie meint, sie hätte kaum noch so eine schöne Straße in den Bergen gesehen. Auf der Querfahrt dem Gipfelgrad entlang, vorbei am COLLE VALCAVERA zur Passhöhe kommt uns dann noch ein Auto entgegen, aber das bleibt Gott-Sei-Dank an einer Ausweiche stehen und lässt uns passieren. Oben auf der Passhöhe des COLLE FAUNIERA bleiben wir stehen und sind sprachlos von der majestätischen Landschaft der Berggipfel.

Dort ist einmal ein italienischer Radfahrer gestorben. Es war eine Art Nationalheld und gewann diese Bergwertung im GIRO D ITALIA. Er war jedoch so mit Dopingmitteln vollgepumpt, dass er nach dem Erreichen des Ziels tot als Sieger vom Fahrrad gefallen ist. Tragisch. Die Italiener haben ihn jedenfalls nicht vergessen und haben ihm auf der Passhöhe ein steinernes Denkmal gesetzt. Wir sehen dort auch eine schlanke, mittelgroße Enduro. Mit der sind solche Straßen sicherlich leichter zu fahren als mit unserer beladenen SOL. Wir kommen mit dem Besitzer ins Gespräch, der meint, er besitze ein Haus in der nur wenige Kilometer entfernten Ortschaft CASTELMAGNO und mit seinem Bike fährt er in seiner Freizeit immer wieder hier herum. Er warnt uns noch, dass die Abfahrt nach MARMORA eine „bumpy road“ wäre. Ich kenne diese Straße und weiß, dass dies eine Untertreibung ist. Wer hier nicht über genügend Bodenfreiheit und Fahrkünste verfügt vernichtet schlicht sein Fahrzeug. Via dem COLLE DEL VALLONETTO und dem COLLE D´ESISCHIE geht’s diese Straße runter nach MARMORA. Die gesamte Straße ist eigentlich eine Militärstraße und sie ist nur wenig gepflegt. Teilweise überqueren wir behelfsmäßig beseitigte Hangrutschungen und Schotterstücke. Es ist trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen ein schönes Abenteuer. Kurz vor MARMORA bleiben wir auf einem leeren LKW-Abstellplatz stehen und machen eine kurze Pause während der Mara mal kurz in die Büsche verschwindet.

Bei PONTE MARMORA biegen wir Richtung Osten auf die SP335 ab und nach nur wenigen Kilometern auf die Straße rauf auf den COLLE SAMPEYRE. Wieder ist die Straße eng, steil, holprig und unübersichtlich. An einer Straßengabelung nehme ich aber leider die falsche Straße und wir finden uns rasch in einer Sackgasse wieder. Das vorsichtige Umdrehen und der heutige Tag haben mir schon etwas Substanz gekostet. Wieder zurück an der Straßengabelung müsste ich auf engstem Raum eine Kurve von mind. 160 Grad hinkriegen – was ich nicht schaffe und wir fallen wieder einmal um. Mara fällt auf mich drauf und landet damit weich. Ich bin wieder einmal ziemlich geknickt und beschließe in Zukunft im Zweifelsfall zu reversieren. Die Auffahrt auf den COLLE SAMPEYRE ist auch deshalb so schön, weil man z.T. einem Grad entlang fährt und es Stellen gibt, wo man auf beiden Seiten ins Tal runtersehen kann. Am SAMPEYRE machen wieder Rast und eine Menge Fotos.

Nach einer gemächlichen Abfahrt ins Tal wollen wir unseren Mittagskaffee haben und suchen uns in der Ortschaft SAMPEYRE ein Kaffeehaus. Davor hat am Vormittag offenbar ein Obst und Gemüsemarkt stattgefunden und wir können den Verkäufern zusehen, wie sie routiniert ihre Tische and Waren abbauen und in die LKWs verstauen. Die Bedienung ist ein halbwüchsiges Mädchen, vielleicht 14 Jahre alt, und bemüht sich nach Kräften alles richtig zu machen. Supersüß!

Danach sollte es eigentlich für den heutigen Tag entspannter weitergehen, denn die Anfahrt zum COL AGNEL ist breit und entspannt. Nur die letzten Spitzkehren sind eng und steil. Letztes Jahr musste ich miterleben, wie ein unsicherer Autofahrer mitten in der letzten, sehr engen Kehre stehenblieb. Das ist so ziemlich der ungünstigste Ort, an dem man überhaupt stehenbleiben kann. Wie ich damals an dem Auto friktionsfrei vorbeigekommen bin, weiß ich bis heute nicht. Mara und ich sind ein perfekt eingespieltes Team. Ich habe naturgemäß meinen Blick auf die Straße unmittelbar vor mir und sie gibt mir Info über den weiteren Verlauf. Z.B., ob uns in einer Kehre ein anderes Fahrzeug entgegenkommt. Trotzdem passiert folgendes: Obwohl ich nur langsam im Enduro-Modus hinauftuckere, werden wir unmittelbar nach einer Kehre von einem entgegenkommenden Auto überrascht. Ich reagiere vollständig unterbewusst und steuere die SOL an dem Auto vorbei. Das war einer der gefährlichsten Situationen auf unserer gesamten Reise, denn unmittelbar neben der Straße beginnt der Abgrund. Wenn man den Asphalt verlässt, ist der Tod gewiss, denn Absperrungen gibt es keine und das Auto ist auf der Straße mittig dahergekommen. Selbst heute noch, während ich diese Zeilen schreibe, kommt mir das Grausen. Mara meint nur, ich hätte die Situation höchst professionell bereinigt.

Von Weitem können wir, nur noch wenig von der Passhöhe entfernt, wieder einen Autofahrer erkennen, der sein Auto diese Straße nicht herunterfährt, sondern herunter zittert. Ich bremse mich so weit ein, dass ich sicher sein kann, dass ich dem Typen nicht wieder in einer Kehre begegne. Dann ist auch die letzte Kehre geschafft und wir stehen an der Grenze zu FRANKREICH auf 2744m bei bestem Sonnenschein. Hier in der Nähe, nur ein paar Kilometer weiter östlich hat Hannibal mit seinen Elefanten die Alpen überquert.

Nach einer kleinen Pause fahren wir Richtung CHATEAU QUERAS ab. Dort fahre ich in den Ort hinein, um ein schönes Foto mit meinem Handy von der Burg zu bekommen. Die sieht wieder einmal aus wie von DISNEY gezeichnet und ist ein weiterer Geniestreich von VAUBAN.

Wir sind jetzt schon lange auf den Rädern und werden müde. Bei mir hat das die Auswirkung, dass ich in der GORGES DU QUERAS auf einer langen Geraden versuche ein langsam fahrendes Auto zu überholen. Das will aber links auf einen Parkplatz abbiegen und hat auch schon den Blinker draußen, der mir aber entgeht. Nur ein lauter Schrei von Mara „DER BIEGT LINKS AB!!!!!!“ lässt mich die Situation erkennen und ich breche den Überholvorgang mit einer Vollbremsung ab. Danke Mara – Du bist eine perfekte Beifahrerin und hast uns gerade vor einem schweren Unfall bewahrt.

In GUILLESTRE kenne ich eine Tankstelle, wo wir volltanken und im schmalen Schatten einer Garage nochmals kurz Pause machen. Danach geht es zum Endspurt nach PRA LOUP. Vorher müssen wir noch den COL DE VARS überwinden. Dessen Straße ist auf der Seite von GUILLESTRE breitest und langweilig ausgebaut und ich kenne das Kaffeehaus auf der Passhöhe wo der Besitzer unfreundlich ist und man sich um einen Kaffee lange anstellen muss. Nach der Abfahrt vom VARS in Richtung Süden geht ein Tal Richtung Nordosten, wo man von Ferne die PONT DU CHATELET sehen kann. Ich war noch nie dort und konnte sie bis jetzt auch nur im Vorbeifahren 1x in der Ferne erkennen. Auch diesmal will sie mir nicht ins Auge springen. Kurz danach kommen wir am FORT DE TOURNOUX vorbei, welches in seiner Größe auch Mara beeindruckt. Das habe ich leider ebenfalls noch nicht besucht und womit es noch auf meiner Liste steht. Wenn ich müde werde, werde ich ungeduldig und vor uns fahren ein paar besonders zögerliche Autos die ich schimpfend überhole. Mara versucht mich einzubremsen, aber ich will einfach nur noch ankommen. Der Tag heute war wirklich anstrengend. Es geht vorbei an BARCELONNETTE und hoch auf 1600 Meter nach PRA LOUP. Dort bleiben wir in der Nähe unserer Unterkunft stehen, denn es gibt keine Zufahrtstraße. Mara hat heute mit ihrer Helmkamera viele Fotos gemacht. Sie kann mir gerade noch sagen, dass ich über den Gehweg zum Hotelzufahrten soll, als ihr Akku des Intercoms endgültig w.o. gibt. Macht nix, denn wenige Sekunden später ist die heutige Tagesetappe sowieso zu Ende. Als ich zufahre, sprintet ein halbwüchsiger Junge auf mich zu und meldet atemlos: „My boss told me that I shall tell you that you can park your motorbike here“ und deutet dabei auf ein Sonnendach. Ich muss schmunzeln. Die SOL dort abgestellt und alles in unsere Unterkunft gebracht und dann ist für heute Schluss. Es war ein toller Motorradtag, aber jetzt bin ich erschöpft und glücklich in meiner Unterkunft zu sein.

Am Abend gehen wir im Ort ein wenig spazieren und finden eine Pizzeria wo wir nicht nur Pizza essen sondern auch etwas Salat, einen Aperitif (einen Genepy), Limoncello und eine ganze Flasche Wein trinken.

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