
Tag 18 – Letzter Gruß ans Mittelmeer und ab in die Berge
Schilderung Atlan
Heute endet unser kurzes Intermezzo in LIGURIEN und es geht wieder nach FRANKREICH und endlich in die kühlen Berge. Wir stehen um 07:00 auf und sind gegen 09:00 auf der Straße zur Autobahn Richtung MENTON. Etwas wehmütig sehe bei der Abfahrt Richtung IMPERIA ich die Hinweisschilder auf den COLLE SAN BARTOLOMEO. Auch denke ich mir, dass all diese kleinen Ortschaften und Siedlungen ja auch früher, bevor diese autobahngleiche Straße, auf welcher wir jetzt fahren, gebaut wurde, mit Straßen verbunden gewesen sein müssen. Es wäre sicher ein Genuss gewesen das alles ohne Zeitdruck zu erkunden. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben – irgendwann wird sich schon die Gelegenheit ergeben und wir werden wieder hierher zurückkommen können. Mir kommt voll ins Bewusstsein, dass der Urlaub nicht endlos dauern wird und wir uns jetzt schon in der 2. Urlaubshälfte sind. Das drückt etwas meine Stimmung und ich werde wortkarg. Mara will ich in solchen Augenblicken nicht mit meinen negativen Schwingungen belästigen. Diese emotionalen Wolken gehen ja auch wieder vorbei.
In VENTIMIGLIA fahren wir von der Autobahn ab und parken uns im Schatten eines Vordaches eines Einkaufszentrums ein. Dort nehmen wir einen kräftigen Schluck aus unseren Flaschen und verabschieden uns von diesen großartigen Aussichten aufs Meer, denn jetzt gehts endgültig ins Gebirge. Wir fahren wieder die gleiche Straße Richtung BREIL-SUR-ROYA hinaus, von welcher wir vor 3 Tagen gekommen waren, biegen aber diesmal auf die SP73 Richtung COL DE VESCAVO und FRANKREICH ab. Diese schmale Straße ist ein Genuss: schmal, steil, einsam und gewunden.
In SOSPEL gibt einen örtlichen SPAR-Supermarkt, der zwar alles im Programm hat – nur kein Brot. Dies dürfte wohl ein Zugeständnis an die Bäcker des Ortes gewesen sein, deren Brote auch viel besser schmecken als industriell hergestelltes Brot wie es in Supermärkten verkauft wird. Danach geht es einem meiner Lieblingspässe hinauf: dem COL DE TURINI. Dazu muss man durch die GORGES DU PIAON. Von Weiten sieht man immer öfter die Kapelle der NOTRE DAME DE LA MENOUR. Dort bleiben wir auch stehen und genießen den Ausblick auf diese tiefe Schlucht und die kühn an die Felswand gebauten Spitzkehren der Straße. Gerade als wir zu diesem kleinen Halteplatz dort hinkommen, fahren 2 Autos weg und wir können unsere SOL ideal parken.

Mara geht über die Brücke hoch bis zur Kapelle und besucht diese auch. Es ist wolkenlos und die Hitze der Sonne wird nur durch die zunehmende Höhe gemildert. Das ist auch notwendig, denn ich habe, wie immer bei längeren Reisen, mittlerweile in der Gesäßbeuge meiner Beine einen Hitzeausschlag, der brennt, sobald ich mich in den Sattel setze. Ich behandle zwar den Ausschlag mit Salbe, aber um ihn wirklich abheilen zu lassen müsste ich mehrere Tage lang Zeit haben und nicht Motorrad fahren – was auf einem Motorradurlaub unmöglich ist. Außerdem vergesse ich des Öfteren am Abend mich einzuschmieren.

Die Auffahrt zum TURRINI auf der Südseite wird seit Jahren renovieret und frisch asphaltiert. Ein paar Kilometer muss ich die SOL ganz vorsichtig steuern und vor allem in den Kurven langsam fahren, weil nach dem Asphaltieren wie üblich Sand auf die Straße aufgebracht wurde, der immer noch da liegt und das Gefühl beim Fahren vermittelt, als würde man jederzeit wegrutschen können.
Am COL DE TURRINI auf 1607m bleiben wir nicht stehen, weil ich Mara ein weiteres Gustostückerl zeigen will: Wir fahren weiter hinauf zum „CIRCUIT DE DECOUVERTE DE L AUTHION“. Das ist eine schmale Einbahn-Ringstraße mit schlechtem Straßenbelag, eine typische, schlecht gepflegte Landstraße im Almengebiet. Das Besondere daran: Sie geht hinauf bis auf über 2000m. Bei klarem Himmel können wir von dort, obwohl wir schon weit von der Küste entfernt sind, noch ein letztes Mal das Meer sehen. Mara gibt, beinahe sprachlos von all dieser Schönheit, ganz verzückte Kommentare von sich als wir da entlangfahren, und ich bin glücklich ihr ein weiteres WOW-Erlebnis bereitet zu haben.
Wieder zurück am COL DE TURRINI wollen wir unsere Kaffeepause haben und kehren in einem Restaurant ein. Das Gasthaus, wo ich üblicherweise einkehre, hat geschlossen, weshalb wir das auf der anderen Seite der Straße frequentieren. Dort sind offensichtlich alle Gäste in eine 2-Klassengesellschaft eingeteilt: Jene, die etwas Essen wollen dürfen an ordentlichen Tischen sitzen und je die nur kurz etwas trinken wollen nehmen an Behelfstischen Platz. Nach einem WC-Besuch geht’s in zahllosen Spitzkehren wieder die andere Seite des Passes Richtung LA BOLLENE VESUBIE hinunter. Am TURRINI ziehe ich mir die Motorradjacke wieder an, welche ich mir in VENTIMIGLIA aufgrund der Hitze ausgezogen hatte. Obwohl meine Arme schon etwas braun von der Sonne geworden waren, hatte ich mir binnen einer Stunde einen leichten Sonnenbrand zugezogen.
Auch diese Seite des Passes ist aufgrund der phänomenalen Straßenführung, der viele Spitzkehren und wunderschönen Aussichten etwas Besonderes. Überhaupt wurde der COL DE TURRINI in einer Internet-Befragung zu einem der schönsten Pässe der Welt gekürt. Bei der Abfahrt komme ich naturgemäß an der schönsten Spitzkehre der Welt vorbei: In dieser engen Kurve steht ein innen in der Schleife sehr großer schattenspendender Baum, unter dem eine Sitzbank mit Tisch steht. Außerdem gibt es dort einen Parkplatz. Man könnte hier also direkt neben der Straße picknicken und dabei die tolle Aussicht ins Tal genießen. Ich musste im Laufe der Jahre 4x hier vorbei fahren bis der Platz einmal leer war und ich ihn auch genießen durfte. Heute ist er wieder besetzt aber wir wollen sowieso nicht stehen bleiben.
Weiter geht es durch den Ort SAINT MARTIN VESUBIE. Dort hatte sich 2021 eine Unwetterkatastrophe ereignet in einem Ausmaß, dass man darüber in den Weltnachrichten berichtete: Nach heftigen Regenfällen ist der kleine Bach LA BOREON dermaßen angeschwollen, dass er die halbe Ortschaft weggeschwemmt hat. Als wir durch das Katastrophengebiet fahren können wir an den Hausruinen, den Hangabbrüchen und den Baggern erkennen, dass die Aufräumarbeiten selbst nach 1 Jahr noch lange nicht abgeschlossen sind.
Danach geht’s über den COL DE ST. MARTIN. Hier haben wir wieder einmal ein paar ängstliche Autofahrer angeführt von einem Schwerlast-LKW vor uns. Als ich etwas die Muskeln der SOL spielen lasse und alle Fahrzeuge in einem Zug überhole zuckt Mara etwas hinter mir. Die Straße hatte ein paar ganz leichte Kurven, aber man konnte bis weit nach vorne keinen Gegenverkehr sehen. Optisch sah das jedenfalls für einen Augenblick so aus, als ob uns der LKW von der Straße drücken würde. Ich kenne aber diese Straße und bin ganz ruhig.

In ISOLA biegen wir zum letzten Highlight des heutigen Tages ab: Zum COL DE LA LOMBARDE. Die Straße hinauf hat extrem viele Spitzkehren. Ich hatte sie einmal gezählt und kam auf 48. Mara zählt sie und kommt auf 42 + 3 Kehren, wo eine Brücke dazwischen war – also 45. Es ist aber immer auch eine Ermessenssache, ob eine enge Kurve jetzt als Spitzkehre zählt oder nicht. Oben auf über 2500m ist es angenehm warm und die Aussichten auf die umliegenden Berge sind wieder einmal wunderschön. Mara will etwas trinken und so gehen wir zu einer Imbissbude. Ich muss im Schatten bleiben wegen meines Sonnenbrandes aber Mara genießt die angenehmen Temperaturen in der Sonne und bei leichtem Wind, der die Haut streichelt. Irgendjemand lässt eine Drohne steigen.

Die Straße hinauf zum LOMBARDE ist schon fordernd aber hier fahren im Winter auch Großraumbusse. Ich bewundere die Fahrer dieser Busse, dass sie ihre Fahrzeuge auf dieser Straße sicher hoch ins Schigebiet bringen können aber die Straße hinunter ins Tal nach ITALIEN ist noch enger und genauso kurvig. Das macht die Sache schon sehr fordernd, wenn man mit einem Halbtonner wie wir unterwegs ist. Selbst wenn es ein Kaliber wie die SOL ist. Unterwegs macht Mara eine erschreckende Entdeckung: Eine Packtasche ist nicht festgeschnallt. Sie liegt einfach nur auf dem rechten Seitenkoffer, nur gehalten durch meine vorsichtige Fahrweise und ein paar Anti-Rutschstreifen. Es dauert etwas bis ich einen Platz finde, wo ich stehen bleiben kann, um die Tasche wieder fest zu schnallen. Mara hält so gut es geht die Tasche derweilen fest. Wann und wie ist das denn passiert? Auf dieser Motorradseite hatte ich meine Motorradjacke aufgeschnallt. Wir können uns nicht vorstellen, dass wir mit loser Tasche es vom TURRINI bis hierhergeschafft haben, ohne dass die Tasche sich auch nur um einen Millimeter bewegt hätte. Ich fahre ja vorsichtig, aber das ist unrealistisch. Es wird wohl so sein, dass oben auf dem LOMBARDE irgendein Witzbold die Haltegurte mit 2 raschen Handgriffen gelöst hat. Als Resultat kontrolliert ab sofort Mara jedes Mal, das gesamte Gepäck ,wenn wir wieder von einem belebten Platz wegfahren.
Die Straße ist wirklich eng und steil. Ich fahre praktisch konstant bergab in einer leichten Art von Liegestütz was meinen Händen nicht guttut und weshalb meine Daumen-Sattelgelenke beidseitig zu schmerzen beginnen. Auf einer der letzten Kehren vor dem Tal sehen wir dann, wie ein Deutscher versucht mit seinem Wohnmobil diese Straße hochzufahren. Bereits hier, wo die Straße schon etwas breiter wird, muss er in einer Kehre stehenbleiben damit der entgegenkommende Verkehr vorbeifahren kann. Ich halte es schlicht für nicht möglich mit dem Wohnmobil von dieser Seite her den LOMBARDE hinaufzufahren, denn das Wohnmobil ist so breit wie die Straße und was macht der Fahrer, wenn dann Verkehr entgegenkommt? Ich spiele mit dem Gedanken den Vorschlag zu machen umzudrehen und zuzusehen, wie die Katastrophe ihren Lauf nimmt 😊
Nur wenig später sind wir in der Ortschaft VINADIO wo wir ein Zimmer in der Bar Genzianella (Affittacamere la Genzianella) beziehen. Wir essen aus unseren Vorräten, Die SOL steht direkt vor der Treppe und am Abend machen wir einen kleinen Spaziergang. In VINADIO wurde im 19 Jhdt. eine Festung gebaut, welche aber nie in irgendwelche Kämpfe verwickelt wurde. Nur im 2. WK gab es ein paar Kämpfe, die die Festung in Mitleidenschaft gezogen haben. Heute wird sie wieder restauriert und ist Schauplatz diverser kultureller Feste. Es ist superromantisch durch diese alten Gassen zu gehen. Wir finden auch einen kleinen Alimentari, wo wir morgen vor der Abfahrt Getränke kaufen können. Zu unserem Amüsement können wir auch, wie aus einen Asterix-Comic, eine Runde uralter Männer sehen, welche auf einer Bank sitzend heftig in irgendwelche Diskussionen verstrickt sind.





