
Tag 13 – GORGES DU VERDON, Stau in NIZZA und ein Kellerabteil in BIOT
Schilderung Atlan
Der heutige Tag wird im Endresultat einer der weniger schönen Tage werden. Daran hat niemand Schuld – shit happens eben.
Dabei begann der Tag so schön: Wie vereinbart läutet der Besitzer die Glocke an der Tür und stellt den Korb mit dem Frühstück ab. Kaffee können wir uns selbst machen und so sitzen wir auf Barsessel in der Küche und konsumieren entspannt ein wunderbares Frühstück mit Allem, was dazugehört.

Danach gehe ich die SOL holen und stelle sie direkt vor dem Eingang des Apartments ab. Die Straße ist mit Steinplatten gepflastert und neigt sich leicht zur Straßenmitte, wo der Regen abfließt. Das Beladen funktioniert wunderbar aber je mehr Gepäck wir aufladen umso mehr geht die SOL in die Federung, denn ich habe sie auf Minimum gestellt. Als dann auch noch Mara aufsteigt, ich mich einen Augenblick wegdrehe und Mara eine unglückliche Bewegung macht bekommt die SOL endgültig das Übergewicht und fällt nach rechts um. Alles, was ich noch wahrnehmen kann, ist ein entsetzter, lauter Schrei von Mara zu einem Zeitpunkt als die SOL bereits 30% Schlagseite hat. Wenn die 500 Kilo fallen, fallen sie und niemand kann sie mehr aufhalten. Mara ist zerknirscht, weil sie glaubt, dass sie das Bike umgeschmissen hat. Ich versuche sie zu beruhigen. Ich sehe die Ursache eher bei mir, denn ich hätte wissen müssen, dass die SOL mit allem Gepäck und Mara bei Federeinstellung „Minimum“ nicht mehr stabil steht. Mara ist zum Glück nix passiert aber mein Seitenkoffer ist jetzt an einer Stelle eingedrückt. SCH…
Nachdem wir uns vom Schreck erholt hatten und das Bike wieder steht, steigen wie erneut auf, starten und fahren los Richtung MANOSQUE, wo wir zuerst einmal einen Supermarkt besuchen, um unsere Vorräte aufzufüllen. Da ich genau weiß, wo der Supermarkt ist, finde ich ihn leicht.
Danach fahren wir Richtung VINON-SUR-VERDON, wo ich sehen kann, dass die Herberge „Auberge de La Table Ronde“ wieder offen hat. Als ich 2013 das erste Mal in der Gegend war, habe ich dort übernachtet. Der Wirt war sehr zuvorkommen und freundlich. So gab es damals wegen Arbeiten an der örtlichen Wasserversorgung kein Wasser und mit den letzten Tropfen wurde damals mein morgentlicher Kaffee gebraut. Später hatte er immer geschlossen – u.U. wegen der COVID-19-Pandemie. Da ITER nur ein paar Kilometer entfernt ist, fahren wir hin. Leider habe ich keine Führung zu einem passenden Zeitpunkt erhalten. Die Public-Relation-Mitarbeiterin konnte sich noch an mich erinnern. Schade! Wir werden wohl frühestens das nächste Mal an ITER vorbeikommen, wenn es in Betrieb ist. So fahren wir nur am Zaun entlang doch selbst hier kann man die gewaltigen Ausmaße der Bauten und des Geländes erahnen.

Dann drehen wir um und fahren Richtung GORGES DU VERDON. Wir bleiben kurz einmal in einer Ausweiche des Canyons stehen, können aber nicht allzu viel sehen. Kurz hinter LA PALUD-SUR-VERDON zweigt die ROUTES DES CRETES ab – eine Panoramastraße der Extraklasse. Mara war zwar schon mal vor langer Zeit in der Gegend, aber dies ist neu für sie. Langsam mit maximal 30 km/h erklimmen wir die gewundene Straße mit Höhen über 1300 Meter und bleiben am „BELVEDERE DE LA CARELLE“ stehen.

Die Aussicht flasht Mara total. Wir können Geier sehen wie sie unter und ober uns kreisen und neben uns steht ein Mann mit einem beeindruckenden Teleskop. Wir dürfen mal durchsehen und können auf der Gegenüberliegenden Seite des Canyons auf einer Klippe das Nest einer Geierfamilie sehen inkl. der halbwüchsigen Jungen. Wir bleiben noch 1 oder 2 x stehen und bewundern die Aussicht. In der Ferne können wir die weißen Rauchwolken eines Waldbrandes erkennen. Später, während der Weiterfahrt nahe dem Ausgang der Schlucht kommen uns die Feuerwehrfahrzeuge entgegen.

Selbst ich, der ich jetzt den Anblick der GORGES DU VERDON schon mehrfach habe genießen dürfen bin jedes Mal aufs Neue fasziniert. Als wir den Scheitelpunkt der Straße überqueren und direkt am Abgrund entlang fahren passiert schließlich etwas, was später zum running Gag wird: Mara sag via Helmfunk in einem eher gelangweilten, beiläufigen und ruhigen Ton:“ Ich hab grad a bissi Stress“. Als ich ebenfalls ruhig nachfrage: „Warum denn?“ meint sie in einem Tonfall, den man benutzen würde, um z.B. zu sagen: „die Sonne scheint“: „Ich hab Angst weils da so weit runtergeht“. Wir müssen ob des Widerspruchs des Tonfalls und der Aussage selbst lauthals lachen.
Weil wir schon eine Weile unterwegs sind, wollen wir unseren Vormittagskaffee haben und bleiben in LA PALUT-SUR-VERDON stehen. Das ist gar nicht so einfach, weil die Straße nicht nur abschüssig ist, sondern auch nach einer Seite hin schräg abfällt und weil alles zugeparkt ist. Den einzigen Parkplatz, der mir sicher genug erscheint, dass wir problemlos absteigen können, ist direkt neben den stinkenden Mülltonnen. Nur 100 Meter weiter ist dieses Selbstbedienungsrestaurant, wo wir ausgiebig Pause machen und neben einem Kaffee auch was essen Wir werden nur durch eine ganze Kohorte von hungrigen Wespen gestört. Ein paar davon sperre ich dann in einer leeren Cola-Dose ein. Nutzt aber nix, denn es sind zu viele. Bevor wir weiterfahren, muss ich erst die SOL so abstellen, dass Mara gefahrlos aufsteigen kann. Seit heute Morgen bin ich da übervorsichtig. Das hat zum Ergebnis, dass wir dann zwar beide am Bike sitzen aber ich erstmal ein paar Meter zurückrollen muss, bevor ich frei Bahn zum Losfahren habe. Sich mit einem Halbtonner auf 2 Rädern auf einer abschüssigen Straße kontrolliert zurückrollen zu lassen ist eine Übung für den Gleichgewichtssinn und für starke Nerven.
Als wir den Canyon Richtung CASTELLANE weiterfahren, erzählt mir Mara wie sie zum ersten Mal den Canyon befahren hat: Vor langer Zeit war sie mit ihrem Gefährten unterwegs, konnte aber nirgends einen Platz auf einem Campingplatz ergattern, bekam aber den Tipp, dass in ein paar Kilometer am Ende der Schlucht ein Campingplatz mit freier Kapazität wäre. In der Dämmerung und bei Nacht auf dieser kurvigen Straße unterwegs zu sein ist etwas, was selbst ich nicht so gerne tun möchte.
Unser nächster Stopp ist am Hauptplatz von CASTELLANE. Kaum dort angekommen und die SOL auf einem regulären Parkplatz abgestellt kommt ein Einheimischer und meint, wir sollten doch das Motorrad auf den Gehweg stellen. Das würde niemanden stören. Ich gebe zwar zunächst auf Englisch zurück, dass, wenn ich das bei mir in der Heimat mache, die Polizei mir eine saftige Strafe aufbrummen würde. Aber dann sehe ich, dass es einen legalen Motorradparkplatz gibt, der sogar noch besser ist und eben kein Autoparkplatz ist. Von dort führe ich Mara zur „Boulangerie Collomp“ wo es die weltbesten Eclairs gibt. Wir kaufen dort nicht nur diese Süßspeisen, sondern auch Brot. Die Verkäuferin spricht keinerlei Englisch und so kann ich leider nicht mitteilen, dass ich sogar meinem Chef auf seinem Motorradurlaub dieses Geschäft empfohlen habe.
Nachdem wir uns satt gegessen haben, fahren wir via der D4085 weiter Richtung NIZZA. Meine Absicht ist es via der ROUTES NAPOLEON nach CANNES zu kommen und von dort aus die geplante Unterkunft zu erreichen. Weil es zu einer Diskussion kommt, ob wir auf der richtigen Straße sind, aktiviere ich dann das Navi, welches uns aber über einen anderen Weg führt: Via D2211 und D2 geht’s in die CLUE DE GREOLIERES und dem PAS DE TOUTES VENTS auf einer Straße mit sagenhaft schönen Aussichten Richtung VENCE und weiter nach CAGNES-SUR-MER. Wir sind schon etwas müde, als wir in einer engen Gasse in einem Stau steckenbleiben. Es dauert ewig, bis wir da in Stop-and-Go-Modus durch sind. Nur wenig schneller können wir nach diesem Stau weiterfahren und nach vielem dahinzockeln und sehr erschöpft finden wir schließlich den beschriebenen Parkplatz. Ich bin schon ziemlich fertig und muss für die folgende Aktion auf „military mode“ umschalten – sonst hätte ich das nicht gepackt: Wie sich herausstellt ist unsere Unterkunft ungefähr 500 Meter den Berg steilen hinauf entfernt. Dorthin kann man nicht fahren, man muss zu Fuß gehen und alles schleppen.

Die Unterkunft liegt im mittelalterlichen Stadtkern von BIOT und ist eine Art ausgebauter Keller, welcher früher einmal vielleicht ein Stall war. Es sieht sehr malerisch aus, aber drin ist es stickig und heiß. Alles Gepäck dahin hoch zu schleppen ist eine Tortour. Mara will ihren Koffer selbst tragen aber ein junger Mann erbarmt sich ihrer und trägt ihn für sie hoch. Ich bin mir sicher: BIOT wurde niemals in mittelalterlichen Kriegen erobert. Der Weg hinauf durch das Stadttor ist so steil, dass man auch ohne Gepäck Mühe hat da raufzukommen. Die mittelalterlichen Bewohner haben aus ihrem Sicherheitsbedürfnis heraus sicherlich ganz bewusst diesen unzugänglichen Ort in der Landschaft gewählt. Als alles oben ist, bin ich dem Kollaps nahe.

Ein weiterer Nachteil des Apartments ist die hohe Luftfeuchtigkeit. Statt einer versprochenen Klimaanlage gibt es einen Luftentfeuchter. Als Mara den irgendwann zum Laufen bringt (der Kondenswasserbehälter mit einem Volumen von mind. 5 Liter ist voll) zeigt das Display sagenhaft 68% Luftfeuchtigkeit an. Wenn man aber den Luftentfeuchter anschaltet, wird’s zwar trockener (wir haben später die Luftfeuchtigkeit bis auf 35% drücken können) aber die Abwärme des Elektromotors heizt die Luft weiter auf – bei Außentemperaturen von mind. 30 Grad zu Mitternacht. Das ist einer der schrecklichsten Unterkünfte, welche ich jemals hatte. Mara ist total schuldbewusst, aber ich versuche ihr klarzumachen, dass dies nicht vorhersehbar war. Shit happens eben. Manchmal wie in der letzten Unterkunft, hat man einen Diamanten gebucht – diesmal haben wir eben nur einen Schotterstein.
„Some days are diamonds, some days are stones“ wie es John Denver schon so treffend ausdrückte.

Der Vorteil der Unterkunft, welche Mara erst nach langem Suchen gefunden hat, weil hier in der Gegend alles Leistbare ausgebucht ist, ist, dass es eine Waschmaschine, einen Geschirrspüler und einen Kühlschrank gibt und wir müssen ohnehin Wäsche waschen. Weil der Luftentfeuchter so laut ist, schalten wir ihn zunächst nicht an, was wir später bereuen werden. Als alles Gepäck irgendwie verräumt ist, stellen wir uns unter die Dusche. Es gibt das übliche Set an Handtüchern aber als die alle pitschnass sind, sind unsere Körper um einen Deut trockener – die Luftfeuchtigkeit ist eben zu hoch und wir trocknen für eine Weile unsere Körper mit unseren Schweißdrüsen um die Wette ab – die Schweißdrüsen gewinnen mit weitem Abstand.
Die SOL bekommt jedenfalls maximale Sicherheit: Die Bordalarmanlage wird aktiviert und das Bremsscheibenschloss angelegt, wo ebenfalls der Bewegungssensor aktiviert wird. Wir essen noch auf dem Gartentisch und gehen dann bald erschöpft ins Bett, welches sich etwas erhöht in einer „Nebenhöhle“ befindet, da die gesamte Unterkunft in den Felsen hineingebaut wurde. Mara und ich haben in unserer Urlaubsplanung Reservetage eingebaut, welche noch nicht verbraucht sind. Es ist sofort klar: Hier werden wir nicht länger bleiben als nötig was schade ist, denn ich hätte gerne mit Mara einen Tag länger das Hinterland der COTE AZURE erkundet.
