
Tag 29 – Kreisverkehr im Berg
Motorradfahrer verirren sich nicht. Sie erkunden nur neue Orte wo sie noch nie gewesen sind.
Bikerweisheit
Als wir am Morgen gegen 10:00 Uhr wegfahren, regnet es bereits wieder genauso wie gestern. Schwesterherz Ursula hat uns bereits via SIGNAL vorgewarnt, dass ganz MITTELNORWEGEN unter einer gigantischen Wolkendecke steckt. Zunächst hält das Wetter noch aus aber aus Vorsicht haben wir uns bereits die Regenklamotten angezogen. Es fängt zu gießen an und hört den ganzen Tag nicht mehr auf. Ursprünglich hatten wir ja vor die auch Erik Peters empfohlene Strecke via der Fv613 bis nach DRAKVIK zu nehmen aber wir wollen einfach nur noch vorwärtskommen und durch den vielen Regen und die Wolken können wir ohnehin nichts von der Landschaft sehen. Wir müssen also den längsten aller norwegischen Fjorde, den SOGNEFJORD praktisch links liegen lassen. Wir erreichen ihn bei VADHEIM und folgen ihm ostwärts. In BALESTRAND ist auf GOOGLE und auf unserer Karte eine Fährverbindung eingezeichnet aber als wir dort ankommen müssen wir leider feststellen, dass diese Fähre nur am Morgen Fahrzeuge transportiert und für den Rest des Tages nur Passagiere. Die Fähre, welche wir brauchen, legt in DRAKSVIK an. Diese Fähre ist insofern was Besonderes, als sie im Dreiecksverkehr in der Reihenfolge DRAKSVIK – HELLA – VANGSNES fährt. Als die Fähre ergo das erste Mal anlegt müssen wir im Schiff bleiben und fahren erst bei VANGSNES raus.
Danach gehts wieder einmal in Landesinnere aber diesmal in alpine Höhen. Leider ist Atlans Navi kaputt den er hätte gerne gewusst in welche Höhen wird da raufgekommen sind. Bei dichtem Regen und im Dunst der Wolken fahren wir durch ein alpines Wintersportgebiet. Bei Sonnenlicht hätte das sicherlich wundervoll ausgesehen. So aber zockeln wir mehrfach hinter ängstlich Autofahrer hinterher, welche wohl am liebsten zur Sicherheit ihr Auto schieben wollen. Es dauert aber immer etwas bis Atlan genug freie Sicht nach vorne hat, um zu überholen.
Das Wetter ist grau-in-grau und es ist schon später Vormittag. Zeit für einen späten Vormittagskaffee bzw. frühen Mittagskaffee. Wir halten also die Augen offen nach einer Art Kaffeehaus – welches nicht kommt. Dann halten wir Ausschau nach irgendeiner Art Restauration – was auch nicht kommt. Nur hin- und wieder fahren wir an Hotels vorbei, welche entweder geschlossen sind oder so teuer aussehen, dass wir da nicht reingehen wollen. Wir sind jetzt schon stundenlang auf der Suche und werden langsam unrund. Wir wollen unseren Kaffee haben – unbedingt. Schließlich reißt Atlan die Geduld und er parkt sich vor einem Hotel ein (Voss Fjell Hotel & Restaurant bei VINJE, 176 km nach Förde), geht zur Rezeption und sagt: „ I am sorry but we are now since about more than 100km looking for a coffeehaus but cannot find any. Is it possible to have a coffee here?“ Der arabisch aussehende Concierge lächelt verständnisvoll und meint: “Yes, I know – come with me.” Er führt Atlan in einen holzgetäfelten Speisesaal, wo eine Kaffeemaschine steht und ihm einen Kaffee runterdrückt. Atlan sagt ihm noch, dass er meine Frau holen werde und hat dann Hemmungen, tropfnass wie seine Regenkleidung nun mal ist, den Saal zu betreten, da wo er geht und steht er eine große Lacke Wasser hinterlässt. Das scheint den Mann aber nicht zu stören. Der Mann lässt uns allein und wir genießen unseren Kaffee. Mara will dann noch auf die Toilette gehen. Die befindet sich im Keller und es gibt kein WC-Papier. Auf die Frage, wo dieses sei, meint der Concierge, dass sie die Toilette des Personals benutzen solle. Dort gibt’s zwar WC-Papier aber kein Spülwasser. Es gibt eine Wasserflasche daneben, welche man ins WC-leeren kann! Das Ganze mache einen sehr ehemaligen Eindruck und uns scheint, als ob das Hotel im Moment auch keine Gäste hätte.
Später kommen wir am TVINDEFOSSEN vorbei. Ein Wasserfall so spektakulär, dass wir trotz des Regens stehenbleiben und uns das näher ansehen. Es gibt einen eigenen Weg zum Wasserfall, dessen Gischt die ganze Umgebung in nassen Nebel hüllt. Mara lässt es sich nicht nehmen so nahe wie möglich heranzugehen.


Schließlich passiert, was jedem einmal passiert: Wir verfahren uns! Wir sind auf der E13 und bleiben auf der E13 und geraten so in den mit 11,5 km längsten Tunnel bisher. Zu unserer vollständigen Überraschung finden wir uns tief im Berg an einer Kreuzung mit in neonblau beleuchtetem Kreisverkehr wieder. Jetzt wäre natürlich der ideale Augenblick, dass Mara die Richtung ansagt aber genau in diesem ungünstigsten aller Augenblicke gibt ob der andauernden nässe unsere Gegensprechanlage w.o.. Es folgt heftiges Klopfen und Deuten, wodurch wir uns rasch wieder synchronisieren können. Als Resultat fahren wir geradeaus, über eine spektakuläre Brücke über den HARDANGERFJORD und dann gleich wieder in einen Tunnel. Als uns der irgendwo ausspuckt, funktioniert unsere Gegensprechanlage wieder und wir wissen, dass wir hier völlig falsch sind. Das bemerken wir zwar rasch können aber wegen des heftigen Verkehrs und der Enge der Straße nicht umkehren und landen in einem Stau. An uns fährt wieder einmal ein Lotsenfahrzeug vorbei gefolgt von einer endlosen Reihe von Autos und Wohnmobilen. Kaum sind wir stehengeblieben dreht das Lotsenfahrzeug um und wir müssen in der Kolonne viele Kilometer weiter in die falsche Richtung fahren.
Erst als das Lotsenfahrzeug wieder umdreht, können wir auch umkehren. Wir kommen als eine der Ersten Fahrzeuge in die wartende Kolonne für die Gegenrichtung und dürfen bis ganz nach vorne fahren. Dort steht eine junge Frau im orangener Straßenarbeiterdress mit der Atlan sich jetzt ein wenig darüber unterhält, warum es hier diese Art von Verkehrsregelung gibt. Sie meint, dass die Straße stellenweise so eng ist, dass 2 Wohnmobile nicht aneinander vorbeifahren könnten und u.U. mehrere Kilometer im Rückwärtsgang zurücksetzen müssten, bis sie einander passieren könnte. Das wäre sehr unfallträchtig und um das zu verhindern, würde es über den Sommer diese Gegenverkehrsregelung geben. Atlan in seinem sozialunverträglichem Aspergertum stelle dann natürlich die falsche Frage indem er nachhackt und fragt: “Und warum benutzt ihr dafür nicht einfach eine Ampel?“. Der Blick der jungen Dame glich Dolchen, denn Atlan hatte gerade ihre berufliche Daseinsberechtigung hinterfragt. Sie meinte dann nur trotzig „Traffic lights are not so reliable as humans” – und beendete damit das Gespräch.
Also im Gänsemarsch wieder dem Lotsenfahrzeug hinterher, Tunnel, Brücke, Tunnel wieder zurück und bei KJERLAND in die richtige Richtung nach TORVIKBYGT abgebogen. Bis wie TORVIKBYGT erreichen fahren wir längeren Zeit dem HARDANGERFJORD entlang. Bei Sonnenschein müsste das ein großartiges Erlebnis sein aber so wollen wir einfach nur noch unser Tagesziel JONDAL erreichen. In TORVIKBYGT müssen wir nicht lange warten bis wir an Bord der Fähre gehen können aber der Wind ist so stark, dass Atlan Mara bittet mit ihr zusammen die SOL stabil zu halten. Die Fähre selbst fährt gar nicht direkt auf das gegenüberliegende Ufer zu, sondern aufgrund des Windes im 45 Grad-Winkel gegen die Windrichtung, um den Winddruck ausgleichen zu können. Auf der anderen Seite des Fjordes können wir eine Gewitter- und Starkregenfront vorbeiziehen sehen. Die Regenfahnen sind überdeutlich zu sehen. Glücklicherweise ist der Wind so stark, dass diese Regenfront den Fährhafen in JONDAL längst passiert hat, bis wir dort ankommen. Direkt neben dem Fährhafen, JONDAL ist ja nicht so groß, ist eine kleiner Supermarkt, bei welchem wir uns jetzt einparken, und Mara geht Abendessen einkaufen. Danach, es ist bereits gegen 20:30 Uhr, suchen wir uns unsere Unterkunft, welche nur wenige hundert Meter entfernt ist. Wie immer geht Mara hinein und macht das Zimmer klar. Ursprünglich hatten wir nur ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad und Gemeinschaftstoilette aber der Herbergsvater hat ein Herz und gibt uns sein letztes Zimmer mit eigenem Bad + WC um den gleichen Preis. Atlan muss nur noch um das ganze Gebäude herumfahren und auf der anderen Seite parken, womit wir durch den Hintereingang einen kürzeren Weg zum Zimmer haben. Dort werden zunächst alle Gepäckteile unter der Dusche vom Straßendreck befreit und die 2 getrennten Betten mit Spannguten aneinandergebunden. Wir stellen die Heizung auf hohe Stufen und können so unsere nassen Sachen langsam trockenen. Besonders Maras Schuhe machen Probleme.
Wir treffen dort auch einen deutschen Biker, der mit einer etwas älteren BMW unterwegs ist. Er hat keine Regenausrüstung und auch keine Routenplanung. Als er in den Regen kam, suchte er sich einfach die nächste Unterkunft – diese hier. Er hat sie aber in diesem winzigen Ort nicht gleich gefunden und ist der Seitenstraße, in welcher sie liegt, bis tief in die Berge hinauf gefolgt, wo er dann schon so hoch war, dass er praktisch am Ende der Straße vor einem Gletscher stand. Erst dann hat er gemerkt, dass hier etwas nicht stimmen kann. Wieder zurück war er so pitschnass, dass der Herbergsvater mit ihm ein Erbarmen hatte und den Heizungsraum aufsperrte, wo er seine gesamte Ausrüstung trocknen kann. Der Deutsche meint dann noch, dass er so lange keinen Schritt vor die Türe machen wird, bis der Regen dauerhaft aufgehört hat.
Dass es gerade hier so viel regnet, ist für Atlan nicht verwunderlich, weil wir ja hier in der Nähe der Hurtigroutenstadt BERGEN sind. Die ist mit 270 Tagen Regen im Jahr die regenreichste Stadt Europas. Atlan fragt sich nur wie irgendjemand auf die Idee kommen konnte sich an diesem unfreundlichen Ort anzusiedeln.


